Akaera hatte sich Mühe gegeben, interessiert zu sein. Wirklich. Doch es hatte nicht wirklich funktioniert und sie hatte sich am Ende bei den anderen Welpen und Jungwölfen wiedergefunden, wo sich auch schon ihre Brüder mit den Kleinen vergnügten. Sie selbst war müde und nachdenklich - das Gesprochene hatte doch einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen, auch, wenn sie nicht die Muße gehabt hatte, um weiter zuzuhören. Jetzt saß sie da, beobachtete das Treiben ihrer Brüder ein paar Wolfslängen weiter und dachte über Rudel nach. Ihr war es noch nie seltsam vorgekommen, nur mit den drei älteren Fähen und ihren Brüdern zu leben, doch jetzt? Dieses Rudel, das sie hier trafen ... es war einfach so ander-

Akaera spürte plötzlich etwas gegen sich prallen und zuckte bei dem lauten Geheul zusammen. Völlig überrascht - sie hatte den Angriff nicht sehen kommen - brauchte sie erst einen Moment, bis sie sich besann und den wesentlich kleineren Welpen abschüttelte. Gleichzeitig verärgert und belustigt über die Störung hielt sie den kleinen Körper am Boden fest, um sich den Welpen einmal genau anzusehen. Es war eine Fähe, und sie strammpelte nicht schlecht, richtete jedoch mit ihren kleinen Pfoten fast nichts aus. Doch Akaera beschloss sie trotz allem gehen zu lassen - es machte keinen Spaß mit jemandem zu spielen, der ihr nicht einmal annähernd ebenbürtig war.

"Wer bist du?", fragte sie, als sich ihr gegenüber aufgerappelt hatte und nun eine Mine machte, als wäre sie nicht gerade eben am Boden gelegen und hätte verzweifelt versucht sich freizustrampeln.

Akaera schielte von oben auf die wesentlich kleinere Wölfin herab, die sich jetzt als Seng vorstellte. Akaera hatte nicht den Eindruck, dass sie besonders bescheiden war. Vor allem, wie sie da so mit stolz geschwellter Brust da saß, obwohl sie doch gerade besiegt worden war, ließ sie zu diesem Schluss kommen. Aber auch ihre Aussage, wonach sie quasi der wichtigste Welpe dieser Insel war (denn welche Aufgaben hatten Welpen außer Kämpfen lernen denn?), bestärkte Akaera in ihrem Urteil. Und genau dieses Selbstbewusstsein verleitete die Fähe dazu, die Kleine etwas aufzuziehen - auch, wenn das kindisch war.

"Ach, vergessen soll ich das? Das war aber sooo lustig, wie du da auf dem Boden gelegen bist und dich gewunden hast, ohne etwas ausrichten zu können! Nein, DAS werde ich nicht so schnell wieder vergessen!"
meinte sie mit einem breiten, fiesen Grinsen im Gesicht, das auch nur zum Teil gespielt war. Denn sicher verstand sie, dass Seng nicht verloren hatte, weil sie relativ gesehen schlecht war - Akaera war ihr nicht nur körperlich überlegen, sie hatte auch noch mehr Erfahrung - allerdings fand sie es auch wirklich nicht gut, wie sich die Kleine aufführte. Denn sie war sicher nicht die Beste, und selbst wenn, dann würde es trotzdem keinen Grund geben, um sich so aufzuspielen.

'Die nimmt den Mund aber ganz schön voll!'

Akaera sah, wie getroffen die andere war, und ihr tat es Leid, sie aufgezogen zu haben. Denn offensichtlich hatte sie es ernster gemeint, als Akaera gedacht hatte und meinte nun wirklich, dass Akaera so schlecht von ihr dachte. Wieso verstand sie denn keinen Spaß? Wobei ... das musste Akaera schon zugeben, sie war fies gewesen. Naja. Vielleicht konnte sie das ja wieder ausbügeln. Oder hinrenken. Oder was auch immer man da machte.

"Jaja, ich weiß schon, mach dir keine Sorgen! Ich habe schon verstanden, dass ich das "Ich-bin-so-gut-Gerede" vergessen soll. Ich wollte dich nur aufziehen." Sie lächelte, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen. "Und du bist auch wirklich nicht so schlecht. Ich meine, zu wenig Selbstbewusstsein hast du sicher nicht, aber du kämpfst auch nicht so schlecht. Mit mir hast du dir einfach die falsche Gegnerin ausgewählt. Und du warst ein wenig zu selbstbewusst. Ich mag das nicht so gerne, wenn Leute immer herumposaunen müssen, wie gut sie doch sind. Aber passt schon." Sie stupste die kleine freundlich an.
"Ich bin Akaera. Das da drüben -" Sie deutete mit der Schnauze auf die beiden Rüden etwas weiter weg, die gerade von einem Haufen kleiner Fellbällchen besprungen wurden - "Das sind meine Brüder. Wieso spielst du eigentlich dort nicht mit? Ich frag das jetzt nicht, weil ich dich loswerden will, sondern einfach nur weil es mich interessiert..."

Akaera zog nachdenklich ihre Schnauze kraus, als sie überlegte, warum sie eigentlich nicht bei den anderen saß. Es sah wahrscheinlich recht witzig aus - so, als versuchte sie zu knurren, ohne ihr Maul zu öffnen. Hatte ihr die Kleine absichtlich nicht geantwortet? Aber naja, wenn sie nicht antworten wollte, würde sie Akaera auch nicht zwingen. Aber trotzdem...
"Naja. Eigentlich war ich gerade in Gedanken. Ich habe bei dem, was die Erwachsenen reden zugehört... und es war soo viel auf einmal! Ich muss darüber nachdenken. Und das geht nicht gerade besonders gut, wenn man von so kleinen Fellbällen besprungen wird. Auch, wenn ich, wie ich gerade sehe, dem sowieso nicht zu entkommen scheine. Aber, sag, was ist denn jetzt mit dir?"
Auch, wenn sich Akaera vorgenommen hatte, Seng nicht unter Druck zu setzten, blickte sie die kleinere jetzt entgegen ihres guten Vorsatzes neugierig an.

Akaera wartete eigentlich einfach nur auf Sengs Antwort, doch irgendetwas schien sie zu stören. Akaera folgte ihrem Blick und konnte drei kleine Welpen sehen, die, ein bisschen weiter hinten im Gebüsch, kichernd die Köpfe zusammen steckten. Akaera hatte sie zuerst nicht bemerkt, weil hier im Moment einfach überall Welpen waren, doch jetzt meldete ihr Unterbewusstsein auf einmal, dass die drei schon seit geraumer Zeit da hinten hockten und kicherten, den Blick fest auf Seng gerichtet.
Genau in diesem Moment meinte eine der drei - so laut, dass man es sogar hier hören konnte - wie lustig Seng doch gewesen sei und brachen damit in erneutes, hohes Gekichere aus.
Akaera konnte sehen, wie peinlich es Seng war, und öffnete schon den Mund, um den drei kleinen hier einmal gehörig die Meinung zu sagen, doch Seng war schneller. Allerdings schienen ihre Worte nicht den gewünschten Effekt zu haben, denn die Reaktion waren nur weitere gehässige Worte, die Akaera wütend machte. Sie hatte nicht das Gefühl, dass es einen Grund gab, so über Seng herzuziehen. Doch sie verstand auch nicht, was Sengs Vater mit dieser Sache zu tun hatte.
Seng schien ihr das offenbar anzusehen, denn sie erklärte knapp, was denn so besonders an ihrem Vater war. Doch Akaera verstand nicht viel davon, was es nun hieß, die Tochter des Alphas zu sein, denn sie selbst war nicht in einem konventionellen Rudel, sondern einer Zusammenschließung von drei Fähen aufgewachsen, und hatte so nie ein Gefühl für die Verhältnisse in einem Rudel bekommen.
Doch das konnte jetzt warten. Akaera war nicht zufrieden damit die Unruhestifter einfach zu ignorieren. Also stand sie auf - sie war schon ziemlich groß, fast ausgewachsen, und wesentlich massiver als die Welpen - und ging langsam auf die drei zu, die sie mit großen Augen anstarrten. Und als sie ihr Rückenfell aufstellte und tief aus ihrem Inneren ein dunkles Knurren ertönen ließm, verschwanden die drei kleineren innerhalb von Sekunden im Gebüsch.
Zufrieden kehrte Akaera zu Seng zurück und setzte sich neben sie, als sei sie nie weggewesen.
"Was ist so besonders daran, einen Alpha als Vater zu haben?"

Akaera nickte langsam. Ihr erschien es zwar unlogisch, dass man eine besondere Position einnahm, nur, weil man so geboren wurde, doch sie sah keinen Sinn darin, nachzufragen. Für Seng schien es ganz natürlich, von den Errungenschaften ihres Vaters zu profitieren - Akaera fand es nur nicht besonders gerecht. Auf Sengs nächste Aussage wusste sie wieder nicht, was sie erwiedern sollte - dass es ihr leid tat? Aber eigentlich war es gar nicht so. Natürlich fand sie es traurig für Seng aber leid tat es ihr nicht - schließlich war sie nicht schuld daran - also wieso sollte sie so etwas sagen?
"Das ist natürlich blöd", meinte sie stattdessen diplomatisch.
"Und ... ", führte sie das Gespräch wieder zum Ausgangspunkt zurück, "deswegen wollen die anderen jetzt nicht mit dir spielen? Oder willst du nicht mit ihnen spielen weil du etwas besseres bist weil dein Vater Alpha ist?"
Sie verstand es immer noch nicht ganz. Wenn sie doch offensichtlich so geachtet war, dann konnte sie sich doch sicher einfach aussuchen, mit wem sie spielen wollte.
Das war alles kompliziert.

Akaera runzelte die Stirn während sie Seng zuhörte.
Das klang ja total eingebildet!
So über Altersgenossen zu denken war Akaera nie eingefallen. In ihren Augen machte es auch nicht viel Sinn, jemanden "klein" zu nennen der gleich groß war wie man selbst. (Es machte auch keinen Sinn, jemanden abfällig "klein" zu nennen, denn kleine Wölfe hatten nicht selten einen Vorteil gegenüber größeren Exemplaren - das aber nur mal am Rande.)
Aber offensichtlich konnte man das wenn man die Tochter des Alphas war. Hm.
So konnte sie es den anderen nicht verübeln, dass sie Seng nicht gemocht hatten, wenn die so mit ihnen umgegangen war. Aber trotzdem war es nicht fair, dass sie Seng keine zweite Chance gaben, fand Akaera. Jeder verdiente eine zweite Chance, das sagte zumindest ihre Mutter immer wieder - und Akaera war noch jedes Mal froh gewesen, wenn man ihr wieder vergeben hatte.

Sengs nächste Frage verletzte Akaera irgendwie.
Eine "dumme" Frage? Was konnte sie denn für ihr Unwissen in diesem Gebiet, wenn es so etwas bei ihr schlicht nicht gab? Sollte sie etwa nicht fragen, wenn es sein konnte, dass für andere eine Sache selbstverständlich war? Oder sollte sie versuchen zu verbergen, dass sie eigentlich keine Ahnung hatte? Nein! Das konnte doch nicht sein! Fragen waren doch wichtig! Ohne Fragen, auf die man eine Antwort suchte war das Leben doch langweilig! Denn war nicht das Leben eine einzige, große Frage, um den Ursprung von Allem und dem Ende, und dem was dazwischen geschah?

Doch bevor Akaera den Mund aufmachen konnte, um sich zu beschweren, rief Seng etwas das, Akaera verwirrte: "Ihr seid Verbannte!"
"Hä?" meinte Akaera darauf wenig galant. "Wir sind doch keine Verbannten. Wir leben eben einfach als Familie, nicht in einem Rudel! Unser Tal wäre ja viel zu klein für eine solche Ansammlung von Wölfen! Und wir kommen auch gut ohne eines zurecht!"